Donnerstag, 7. März 2013

Markus Grill über Wiki-Watch und Wolfgang Stock: Eine phantastische Geschichte, die einem Faktencheck leider nicht standhält.

Es hätte alles so schön werden können. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte am 2. Juli 2011 einen Artikel von Jörg Wittkewitz (1), der die Glaubwürdigkeit des Projekts Wiki-Watch und seines Co-Initiators Prof. Dr. Wolfgang Stock mit einem Donnerschlag zu erschüttern schien. Es ging um den Vorwurf des Pharmalobbyismus, bezahlte Wikipedia-Manipulation, Täuschung der Öffentlichkeit und - halten Sie sich fest - angeblich sogar um die Diskriminierung von homosexuellen Jugendlichen. Wow! Markus Grill sprang am 8. Juli 2011 auf den FAZ-Zug auf, meiner Meinung nach, weil er noch eine alte Rechnung mit Stock offen hatte, wegen einer Beschwerde beim Presserat. Er veröffentlichte insgesamt drei Beiträge (2) (3) (4), die alle das Potenzial hätten, den guten Ruf von Prof. Stock zu beschädigen, wenn - ja wenn Grill sorgfältig recherchiert hätte und wenn seine Vorwürfe und Verdächtigungen einer Prüfung der Quellen standgehalten hätten. Jetzt geht es um die Glaubwürdigkeit des SPIEGEL-Redakteurs.
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Abbildung: „Wir bleiben im Hintergrund“ (SPIEGEL 28/2011). Auch Markus Grills anonyme Wikipedia-„Informanten“ und ihre politischen Motive blieben im Hintergrund.

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Chronologie einer Intrige
Sie werden es nicht glauben, aber am Anfang dieser langen Geschichte, die ich Ihnen nun erzähle, stand eine Doktorarbeit, die von Karl-Theodor zu Guttenberg. Irgendwie gehört es heute ja zum guten Ton, über eine Doktorarbeit zu stolpern. Das Erstaunliche am Fall Prof. Wolfgang Stock und Wiki-Watch ist, dass es nicht die eigene sein muss. Fangen wir ganz vorne an:

Sommer 2011: Stock kritisiert fehlende Transparenz der VroniPlag
Als die überwiegend anonymen Mitarbeiter der Plattform GuttenPlag die politische Karriere des damaligen Verteidigungsministers und gefühlten Bundeskanzlers in spe abrupt beendet hatten, kurz vor der Verleihung des Grimme Online Awards, da wagte es Prof. Stock, die Euphorie einiger Mitarbeiter des Folgeprojekts VroniPlag erheblich zu dämpfen. Manuel Bewarder hinterfragte in einem WELT-Beitrag Transparenz und Methodik der Plagiatsjäger, kritisierte, dass sie noch nicht einmal mit offenem Visier kämpfen würden und schrieb (5):

„Wolfgang Stock, Leiter der Arbeitsstelle ‚Wiki-Watch‘ an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, etwa sagt: ‚Wer ist das, der ohne seine Methoden offenzulegen, solche Urteile fällt?‘ Man könne nicht nachvollziehen, welche Qualifikation die Mitglieder haben, um etwa Zitationen zu bewerten. Außerdem sei nicht transparent offengelegt, wie die Gruppe methodisch arbeite.“

Eigentlich ein ganz banaler Hinweis, der deshalb sehr wichtig ist, weil anonyme Recherche-Projekte für politische und ideologische Zwecke missbraucht werden können und es leicht möglich ist, z. B. auf sieben berechtigte Mängel heimlich noch drei frei erfundene Fehler oder Kritikpunkte in schmähender Absicht unterzujubeln. Wie so etwas geht, das demonstriert der anonyme Internetpranger Psiram.com (6) - ein Projekt atheistischer Fundamentalisten mit vielen Promotern in deutschen Redaktionen - sehr „schön“ und plastisch.

Netzaktivisten mit Medienkontakten
Bei einigen Mitarbeitern der VroniPlag kam Stocks Kritik nicht gut an. Sie polemisierten gegen ihren Kritiker (7) (8), beantworteten die sachliche, konstruktive und gut begründete Kritik teils mit persönlichen Angriffen - m. E. ein starkes Indiz für unlautere Motive - und plötzlich geriet auch Wolfgang Stock ins Visier von Netzaktivisten. Torsten Kleinz hat das aufmerksam beobachtet. Er schrieb in der taz (9): „Stock ist längst selbst in das Visier einiger Wikipedianer geraten. So wird ... auf der Multimedia-Plattform Wikimedia Commons eine elfseitige Abhandlung verbreitet, die sich mit auffälligen Beiträgen im Medizin-Bereich beschäftigt.“ Stock wird am 19.06.2011 in der WELT zitiert. Der FAZ-Artikel „Hier prüft der Bürger das Insulin noch persönlich“ (1) von Jörg Wittkewitz, der die Welle der „Pharma-PR“-Vorwürfe auslöst, erscheint nur 14 Tage später am 02.07.2011. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Nun muss man wissen, dass sich in Deutschland in den letzten Jahren eine teils subversive Szene von Netzaktivisten herausgebildet hat, die sehr gut vernetzt ist, innerhalb der Wikipedia-Deutschland-Community aktiv und einflussreich ist, Wikipedia auch für den ideologisch-politischen Kampf instrumentalisiert, in der rund um ideologisch aufgeladene Themen ein rauher bis aggressiver Ton vorherrscht und für die Prof. Stock aus vielen Gründen das ist, was Knoblauch für Vampire bedeutet: Hier ein CDU-Mitglied und bekennender Christ, dort weit weit links angesiedelte, teils atheistisch fundamentalistische Aktivisten in Kampflaune. Dr. Marius Beyersdorff hat Aktivitäten dieser Szene in seiner Dissertation „Wer definiert Wissen?“ akribisch dokumentiert.

Erstaunlich und beklemmend finde ich, wie einfach es anonymen Netzaktivisten immer wieder fällt, etablierte Medien für politische Kampagnen zu gewinnen. Aktivisten des anonymen Internet-Prangers Esowatch/Psiram (6) konnten bisher über befreundete Journalisten eine ganze Reihe von Beiträgen in namhaften Medien platzieren. Die Prof. Stock betreffenden Unterstellungen und Verdächtigungen dienten, das lässt sich leicht belegen, nicht dem Zweck, Transparenz zu schaffen. Es gibt stattdessen deutliche Hinweise, die auf Medienmanipulation hindeuten. Prof. Stock sagte mir, dass der ursprüngliche Artikel-Entwurf von Jörg Wittkewitz von einem Redakteur der FAZ sogar noch verändert und zugespitzt worden sein soll.

(Nur) 24 Stunden auf www.faz.net
Die kleinen Sünden bestraft der liebe Gott sofort, große erst nach 24 Monaten. „Wiki-Watch – Hier prüft der Bürger das Insulin noch persönlich“ (1) erscheint nicht nur in der Printversion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sondern auch auf dem Internetportal www.faz.net, wird allerdings schon einen Tag später aus dem Netz genommen. Es folgt ein Rechtsstreit, der für die renommierte Tageszeitung und ihren Autor mit einem Fiasko endet. Ein Gericht stellt fest, dass der Artikel eine zweistellige Zahl falscher Tatsachenbehauptungen enthält. Jörg Wittkewitz und die FAZ GmbH unterzeichnen insgesamt drei Erklärungen, eine Unterlassungserklärung und zwei Abschlusserklärungen (10).

An dieser megapeinlichen Stelle beginnt nun die „journalistische“ Arbeit von SPIEGEL-Redakteur Markus Grill, dessen Behauptungen und Verdächtigungen ich noch genau unter die Lupe nehmen werde. Wer sich vorab einlesen und informieren will, der findet in Teil 1 meines Interviews mit Prof. Wolfgang Stock wichtige Links und Quellen (11).

Hier geht es zu Teil 1 eines ausführlichen Faktenchecks ...


Interessanter Link zum Thema:

Markus Grill bei Twitter: Atheistischer Humor, der „Skeptiker“-Verein GWUP, der anonyme Internetpranger Esowatch/Psiram.com und was das alles mit Wolfgang Stock zu tun hat.
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Quellen:

(1) „Wiki-Watch – Hier prüft der Bürger das Insulin noch persönlich“, Jörg Wittkewitz, F.A.Z., 02.07.2011 

(2) „Manipulation: Wolfgang Stock, die Pharmaindustrie und Wikipedia“, Markus Grill, SPIEGEL ONLINE, 08.07.2011 

(3) „Pharmaindustrie: Ein PR-Agent schrieb bei Wikipedia Artikel zugunsten des Arzneimittel-Riesen Sanofi-Aventis um, DER SPIEGEL, 11.07.2011

(4) „Vorwurf der Pharma-PR – Wiki-Watch-Gründer gerät in Erklärungsnot“, Markus Grill, SPIEGEL ONLINE, 15.07.2011

(5) „Sie brachten Guttenberg und Koch-Mehrin zu Fall - Sie zerlegen Promotionsarbeiten und spüren Plagiate auf, versetzen viele Doktoren in Angst. Doch wer steckt hinter GuttenPlag und VroniPlag?“, Manuel Bewarder, DIE WELT, 19.06.2011

(6) Faktencheck zum Telepolis-Artikel von Guido Watermann. „Esowatch heißt jetzt Psiram“, Claus Fritzsche, www.esowatch.org, 14.07.2012

(7) VroniPlag Wiki - Forum: Übersicht > "Dafür ernten sie auch von wissenschaftlicher Seite Kritik"

(8) VroniPlag Wiki - Benutzer:Senzahl

(9) Zwist um Wikipedia, Die anonymen Wächter, Torsten Kleinz, taz, 08.07.2011

(10) Wiki-Watch: Unterlassungserklärungen der FAZ GmbH und von Jörg Wittkewitz gegenüber Prof. Dr. Wolfgang Stock, http://www.convincet.de/Unterlassungen.htm

(11) Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Stock. Über Wiki-Watch, Markus Grill und gewagte Verdachtsberichterstattung. (Teil 1 von 2), CAM Media.Watch, 03.09.2012

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